Der vernetzte Mensch
von den Grenzen des Individuellen

Kongress - 18. Oktober 2014 in Hannover


„Jedem das Seine, mir das meiste!" Unser Kulturkreis ist geprägt von einem Ethos der Individualität. Vielfach regiert die stille Überzeugung, dass man als Individuum weiterkommt, wenn man sich möglichst jeglicher Verbindlichkeiten und Abhängigkeiten entledigt.

Dem gegenüber wächst auf vielen Ebenen die Einsicht, in welch hohem Maße der Mensch in wechselseitiger Resonanz und Verbundenheit lebt. Globalisierung, Ökologie, Systemtheorie, das World Wide Web des Internet, Transpersonale Psychologie – all' diese Stichworte belegen diesen vielfältigen Erkenntnisprozess.

Welches Verständnis dieser beiden Pole und ihrer Verbindung uns zu einer ausgeglichenen, verantwortlichen, glücklichen und auch freieren Lebensweise dienlich und hilfreich sein kann, ist noch längst nicht ausgelotet.

Der Mensch ist umfassend vernetzt, verbunden, verlinkt. Was ist das dann aber oder was kann es dann noch sein, das „Seine", das jeder Mensch zu leben berufen sein soll?? Was bedeuten diese Verbindungen von Mensch und Welt für Menschenrecht und Menschenpflicht? Und Zukunftschancen?

Grußwort Stefan Schostok,
Oberbürgermeister Hannover

Impulsvortrag Dieter Jarzombek, Berlin

Vorträge

Es mutet wie ein Alptraum an: die NSA hört weltweit einen jeden ab, der Elektronik nutzt, um sich mitzuteilen. Der Big Brother Orwells ist nicht ins Gigantische Realität geworden, sondern er wird, als wäre nichts dabei, förmlich gleich einem Wohltäter der ganzen Menschheit begrüßt, bejubelt und als neues Zeitalter beschworen. Grenzen der Intimität, Rechte der Persönlichkeit, Respekt vor dem Geheimnisvollen, das uns als Person ausmacht, werden behandelt als ob nicht existent – zugunsten der Wirtschaftsinteressen der international agierenden Konzerne und der geostrategischen Ziele der einzig verbliebenen Weltmacht des Westens, der USA. Was also tun? Es wagen, Individuen zu sein, - mit allem, was uns hilft, die Gleichschaltung des Seins zu vermeiden. Innerlichkeit gegen Veräußerlichung, Beachtung der nur scheinbaren Irrationalität der Gefühle gegenüber der funktionalen Praktik der Begriffe, Förderung der Kreativität des Einzelnen gegen den Leistungszwang des Allgemeinen – und: die Entdeckung des Absoluten in der Gestalt des Personalen im Raum der Religion. Vertrauen statt des Zwangs zu einer Sicherheit, die keine Freiheit mehr erlaubt.

Die Forderung nach Transparenz wird überall erhoben, wo Bürgerin und Bürger sich im Dschungel der Informationsvielfalt nicht mehr zurechtfinden. Werden wir nicht zugeschüttet und erstickt durch gesetzliche Vorschriften, Medien, Werbebotschaften, individuelle Nutzungsverträge für Waren und Dienstleistungen? Kann jede(r) Einzelne das wirklich alles verstehen, beherzigen, verdauen? Müssen wir jetzt alle perfekt in der Nutzung von Mobiltelefonen, dem Internet, den Sozialen Medien sein, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können? Was geschieht, wenn man sich verweigert?

Transparenz hat Grenzen. Sie ist eine Bringschuld der staatlichen Ordnung: Bürgerin und Bürger sollen erfahren können, wie Regierung, Verwaltung, Rechtsstaat funktionieren. Aber sie müssen sich nicht um alles kümmern, sondern eben diese staatliche Ordnung muss sie auch vor Überforderung, Übervorteilung, vor dem „Recht des Stärkeren" und vor dem Ausspähen ihres privaten Lebens schützen

Mein Ansatz einer psychoanalytischen Kulturkritik bezieht sich auf das Forschungsparadigma, das Freud in die Welt gesetzt hat, also nicht auf die von ihm entwickelte Therapiemethode. Ich schlage einen Zugang zur unbewussten Dimension sozialer Phänomene vor, der nicht einfach die therapeutische Perspektive auf "die Gesellschaft" verlängert und dabei, per Analogie, nach psychischen "Störungen" sucht. Vielmehr interessiert mich, wie jeweils das Psychische mit dem Sozialen außertherapeutisch verbunden sein kann.

Dazu erweitere ich einerseits Freuds Konzept des "unbewussten Sinns" (von "Symptomen", "Fehlleistungen" etc.) und verstehe "Symptome" nicht als Anzeichen einer vorliegenden Störung, sondern als Verlaufsformen eines Bewältigungsversuchs, der sich auf ungelöste seelische Probleme richtet; andererseits ziehe ich klinisch-therapeutische Berichte heran, die ich als ein Seismograph kultureller Erschütterungen interpretiere.

An den Beispielen "Casting-shows" (im Fernsehen) und einer bestimmten Disco-Musik zeige ich, gestützt u.a. auf Problem-Hinweise des Familientherapeuten W. Bergmann, wie wir an Vorlieben und Gewohnheiten Jugendlicher Handlungssignaturen ihres Unbewussten ablesen können. Wir gewinnen so Einsicht in ihr Gefühlsleben, die die Betreffenden uns sonst vermutlich nicht mitteilen könnten. Im Zentrum werden Schwierigkeiten der Jugendlichen mit dem Selbstwert stehen.

Ein Wort »Freiheit« – und eine unüberschaubare Komplexität von Inhalten, wenn wir näher hin schauen. Da ist die philosophische Dimension der Gegenüberstellung der »Freiheit von etwas« und der »Freiheit zu etwas«. Da ist das Recht des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen in die »freie Entfaltung der Persönlichkeit« und die ständigen obrigkeitlichen legalen wie illegalen Eingriffe in diese Rechte. Drittens die inneren Prozesse der Entscheidungsfindung des Menschen aus dem neurophysiologischen und somatischen Blickwinkel.

Gerhard Huhn setzt sich in seinem Beitrag mit diesen sich überlagernden und miteinander verschränkten Spannungsfeldern und der Bedeutung des Schutzes der Privatheit auseinander. Dies vor dem Hintergrund des freiwilligen (?) Verzichts auf Privatheit infolge der rasant zunehmenden und von vielen auch erstrebten Transparenz bei ihren Online Aktivitäten. Es stellt sich die Frage, ob wir uns der Bedeutung von Resonanz in einem geschützten Freiraum zwischenmenschlichen Beziehungen als höchst gefährdetes Element humanen Überlebens in notwendiger Weise bewusst sind.

In vielen Teilen Afrikas erlebt die Medienlandschaft eine dynamische Entwicklung, dies nicht zuletzt aufgrund des aktuellen Anschlusses des Kontinents an das sog. World Wide Web. Birgt diese Entwicklung das Potential, überkommene Stereotype nachhaltig hin zu einer ganzheitlicheren Darstellung und Gewährleistung von Informationen über 'Afrika' zu transformieren? Eine auch aus Sicht der Völkerverständigung relevante Fragestellung die exemplarisch anhand eines kenianischen multi-media Unternehmens erörtert werden soll.

Referenten

(* 20. Juni 1940 in Bergkamen) ist ein deutscher Theologe (früher katholisch), suspendierter Priester, Psychoanalytiker, Schriftsteller und ein bekannter Kirchenkritiker. Er ist ein wichtiger Vertreter der tiefenpsychologischen Exegese.

Drewermann stammt aus einer gemischtkonfessionellen Bergmannsfamilie (Vater evangelisch, Mutter katholisch). Von 1960 bis 1965 studierte er Philosophie in Münster und Katholische Theologie in Paderborn. 1966 wurde er zum Priester geweiht und arbeitete als Studentenseelsorger und ab 1974 als Subsidiar in der Gemeinde St. Georg in Paderborn. Ab 1968 ließ er sich in Göttingen in Neopsychoanalyse ausbilden und habilitierte sich 1978 in katholischer Theologie. Ab 1979 hielt er als Privatdozent Vorlesungen an der theologischen Fakultät Paderborn. Am 8. Oktober 1991 entzog ihm Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt (1926–2002) die katholische Lehrbefugnis und im Januar 1992 die Predigtbefugnis. Im März 1992 folgte die Suspension vom Priesteramt. Ursache waren strittige Ansichten Drewermanns in Fragen der Moraltheologie und der Bibelauslegung. Drewermann ist als Schriftsteller, Redner, Psychotherapeut und Seelsorger sowie als Lehrbeauftragter tätig. Seine inhaltlichen Ansätze wie rhetorische Fähigkeiten haben ihn zu einem viel gefragten Redner und Kommentator gemacht.

Auszeichnungen

  • 1992 Herbert-Haag-Preis
  • 1994 Urania-Medaille
  • 2000 Integrationspreis der gemeinnützigen Stiftung Apfelbaum (Köln)
  • 2007 Erich-Fromm-Preis zusammen mit Konstantin Wecker
  • 2011 Internationaler Albert-Schweitzer-Preis zusammen mit Raphaela und Dr. Rolf Maibach

(Jahrgang 1939)

Abitur 1959 am Städtischen Mädchengymnasium Wuppertal-Elberfeld, mathematisch-naturwissenschaftlicher Zweig

Studium der Musikwissenschaft, Germanistik, Theaterwissenschaft und Soziologie in Berlin, Wien, Göttingen. Daneben journalistisches Volontariat beim Generalanzeiger der Stadt Wuppertal in den Semesterferien, seit 1961 Tätigkeit als Musikkritikerin beim Göttinger Tageblatt. Studienabschluss mit Promotion im Februar 1965; Arbeit: „Die Oratorien Joseph Haydns. Ein Beitrag zum Problem der Textvertonung“.

Heirat 1963. Geburt von drei Kindern 1965,1966,1969. Bundestagskandidatur 1969.

Wahl in den Deutschen Bundestag 1972 als Listenabgeordnete des Wahlkreises München-Land der SPD. Mitglied des Bundestages bis Mai 1989. Mitglied im Wirtschaftsausschuss des Deutschen Bundestages von 1976 bis 1989. Zuständigkeiten: Verbraucherpolitik, Künstlersozialversicherung, Urheberrecht, Filmförderung, Haushalt.

Vorsitzende der deutsch-italienischen Parlamentariergruppe von 1973-1989 als Nachfolgerin von Carlo Schmid.

März 1989 Wahl zur Berliner Senatorin für Kulturelle Angelegenheiten in der rotgrünen Koalition unter Walter Momper.

Von Januar 1991 bis November 1991 Tätigkeit auf Werkvertragsbasis für die Friedrich-Ebert-Stiftung in den Neuen Bundesländern: Hilfe beim Neuaufbau der Kulturorganisationen. Ab 1. 3. 1992 Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tel Aviv. Ende der Arbeit in Israel am  30.11. 1996.

Seit 1.12.1996 freiberufliche Tätigkeit als Publizistin. Seit September 1998 Arbeit für Transparency International Deutschland in verschiedenen Funktionen.

Mitgliedschaften

Von 1989 bis 2005 Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages, Vorsitzende des Ständigen Ausschusses Kunst bis 2009.

Seit 1996  Mitglied des Goethe-Instituts.

Seit Mitte der achtziger Jahre Mitglied der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Seit 2006 Mitglied des Seniorenrates der SPD

Mitglied des Deutschen Journalistenverbandes und der Kulturpolitischen Gesellschaft.

Professor Dr. Dieter Flader verbindet als Kommunikationsanalytiker Linguistik, Interaktionssoziologie und Psychoanalyse/Psychologie miteinander. Er ist psychoanalytisch geschult und hat langjährige Erfahrungen als Trainer und Coach. Seit 1996 lehrt er als Professor an der FU Berlin Linguistik und Kommunikationstheorie und war als Gastdozent im Inland wie im Ausland tätig – darunter an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee, der Çukurova Universität in Adana, der Karls-Universität Prag und der Graduate School for Social Research an der Polnischen Akademie der Wissenschaften in Warschau.

Er hat 2011, zusammen mit Dr. Barbara Strohschein, das Berliner Institut für Angewandte Humanwissenschaft gegründet, das Grundlagenforschung mit praktischer Beratung verknüpft. Dieses Institut konzentriert sich auf vier Themenfelder: Mobbing und andere Selbstwertprobleme, Spiritualität und Management, Interkulturelle Kommunikation und die kommunikativen Herausforderungen internationaler Schlichtung (arbitration) auf dem Energiesektor.

Dr. jur. Huhn beschäftigt sich seit vierzig Jahren mit den praktischen Aspekten der Gehirnforschung.
Sein Anliegen ist es, Menschen in ihrem Privat- wie Berufsleben sowie Unternehmen dabei zu unterstützen, die Konsequenzen der Erkenntnisse zu integrieren und dadurch Lernprozesse , Kreativität , Selbstmotivation , Führungskompetenz und unternehmerisches Denken zu mobilisieren und zu verbessern.

Im Flow-Konzept von Prof. M. Csikszentmihalyi fand er den Schlüssel, die vielfältigen Ansätze seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse und praktischen Erfahrungen zu integrieren. Seit Mitte der neunziger Jahre steht er in fortlaufendem persönlichen Kontakt und Erfahrungsaustausch mit Prof. Csikszentmihalyi. Der von Dr. Huhn entwickelte »Dreidimensionale Flow-Raum« erweitert das Flow-Konzept um die Wertorientierung im Sinne von V. E. Frankl einerseits und das Talente-Modell der Gallup Organisation (nach dem Prinzip »die Stärken verstärken«) andererseits.

Sein Berufsleben umfasst nach einer Karriere als Verkaufsdirektor in einem Direktvertriebsunternehmen in der Schweiz, einem Jurastudium und Referendarzeit in Berlin eine mehrjährige Tätigkeit als  selbständiger Anwalt in eigener Praxis sowie zehn Jahre als unabhängiger Verleger (zeitweilig parallel). Seit 1992 arbeitet er als Berater, Coach und Managementtrainer und ist Gastdozent an nationalen und internationalen Universitäten. Dr. Huhn promovierte mit einer Dissertation über die Verfassungswidrigkeit von Schulrichtlinien für die künstlerischen Fächer (»Kreativität und Schule« 1990) und ist Autor mehrere Bücher und Artikel .

Kani Tuyala wurde Kinshasa (Demokratische Republik Kongo) als Sohn einer deutschen Mutter und eines kongolesischen Vaters geboren.

Er verbrachte seine Kindheit in der Elfenbeinküste, wuchs später in Deutschland auf, wo er gegenwärtig an der Freien Universität in Berlin promoviert.

Für seine Promotion untersucht er zur Zeit eine panafrikanische Medienagentur aus Kenia. Er interessiert sich sehr für die reiche, weithin unterschätzte Geschichte des afrikanischen Kontinents und glaubt an dessen großes Potential für die Zukunft.

Als Beitrag zu dessen Forschungskultur hat er den Verein Lions of Science ins Leben gerufen.

Mensch werden. Mensch bleiben.